HERKUNFT

Leseprobe "bei den Naga Babas"
aus "Nordindien"
© Klaus Schumacher, Indien und Berlin 2007

Innerhalb nur weniger Tage ist es in Varanasi richtig heiß geworden. Die Kühle von voriger Woche ist ebenso verschwunden wie die starke Diesigkeit von gestern. Bei unserem Gang entlang der Ghats braten wir unerwartet stark in der Sonne. Fanti läßt sich die Kamera geben und folgt einem Naga Baba, einem nackten Mann, dessen Haare in Strähnen bis zur Erde reichen, sieht ihn zu einem Feuer gehen und sich neben einem Mann in orangefarbener Kleidung niedersetzen, und dieser Sadhu wiederum sieht Fanti und winkt sie herbei. Und schon sitzen wir bei ein paar Naga Babas. Einer unter ihnen war mir zuvor schon sofort aufgefallen. Seine linke Gesichtshälfte hat jegliche Kontur verloren und reicht sackförmig bis hinunter zur Brust. Das Gebilde erinnert entfernt an einen Rüssel, womit dieser Naga Baba starke Ähnlichkeit mit Ghanesh hat, dem Elefantengott.
  Als wir kurz darauf an dem Ort unterhalb der Balustrade vorbeikommen, auf dessen Dunkelheit ich die Kamera heute speziell abgestimmt habe, nimmt Fanti sie mir sofort ab und macht nun die Fotos, auf die ich es eigentlich abgesehen hatte. Trotzdem landen sie auf meinem Chip, tröste ich mich. Fanti hält auf die Naga Babas los, wie stets ohne Bedenken, wenn sie Menschen fotografiert, was sie sich als Frau vielleicht eher herausnehmen kann, - da wird sie von einem von ihnen auch schon eingeladen, sich dazuzusetzen.
  Es ist ausgerechnet der mit dem Dolch, und so bekomme ich seine Übung schon bald aus nächster Nähe zu sehen und darf ihn dabei sogar fotografieren. Dennoch übersehe ich zunächst die entscheidende Kleinigkeit, wie ich eine Weile später bemerke, als er sie abermals vollführt. Er sticht sich den Krummsäbel nämlich nicht durch den Penis, sondern faltet das Glied zweimal um den Säbel, daraufhin dreht er diesen mehrfach um die Längsachse und spult somit sein Teil fest darauf auf, ehe er mit dem Säbel Verrenkungen macht. Später betupft er unsere Stirnen mit Asche, bereitet einen Chai zu, von dem er allen Herumsitzenden reicht, dann läßt er ein Schillum kreisen, das abzulehnen natürlich die Höflichkeit verbietet. Es ist eine verrückte, liebevolle, friedliche Atmosphäre bei diesem Naga Baba, der mich irgendwie an einen Fakir erinnert.
  Später sehen wir ein Ruderboot vorbeifahren, unter den vier Fahrgästen sind ein Naga Baba und eine Sadhu. "Ist darauf nicht auch der Nepalese, der vorhin beim Fakir neben uns saß?" Da sieht uns der Nepalese auch schon und winkt, und das Boot fährt ans Ufer, damit wir dazusteigen können, das ist ja alles wie im Traum. Wir genießen die Spätnachmittagstimmung auf dem Ganges. Nur noch die weite Sandbank drüben erstrahlt in einem goldenen Licht. Das Boot legt kurz vor dem kleineren burning-Ghat an, wir sehen dort die Flammen lodern. Dann sitzen wir mit dem Nepalesen in einer Art Zelt am Feuer des Naga Baba. Leute kommen vorbei und bringen dem nackten Mann Verehrung entgegen.

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