HERKUNFT

Leseprobe "Nachts können wir nicht schlafen"
aus "Nordindien"
© Klaus Schumacher, Indien und Berlin 2007

Nachts können wir nicht schlafen. In dem Haus gegenüber, das extra deswegen frisch getüncht worden ist, von einem milchigen Grün in ein noch milchigeres Blau, wird Hochzeit gefeiert. Unter einem langgezogenen Baldachin werden blecheweise Süßigkeiten an die Gäste gebracht; vorhin sahen wir, wie ein gigantischer roter Sessel mit vergoldeten Füßen herbeigekarrt wurde, und jetzt dröhnt die Musik so laut, daß wir auf Dauer irre werden.
  "Ach, gäbe es doch jetzt wieder einen Stromausfall", sagt Fanti, und ich male mir zustimmend nickend die himmlische Ruhe aus, die damit verbunden wäre. Genau in dem Moment gehen die Lichter aus und die Musik verstummt.
  Die Hochzeit hat wirklich Pech. Nicht nur, daß der Strom die ganze Nacht lang weg bleibt und die Feier im Stillen stattfinden muß, es fängt auch noch an zu regnen, erst nur ein bißchen, dann immer stärker.
  Es ist so etwas wie eine kleine Regenzeit. Am nächsten Mittag sind wir bereits einmal pitschnaß geworden, als wir endlich frühstücken können, denn uns war das Geld ausgegangen und der Weg zur Bank war weit. Strom gibt es immer noch keinen, und so sitzen wir in einem kleinen Restaurant in dem dämmerigen Licht, das durch das Fenster zur schmalen, hohen Gasse hin herein fällt.
  "Was hast du noch einmal gesagt, bevor der Strom ausfiel?" Fanti kramt in ihrem Gedächtnis, bekommt es zusammen, und als sie es sagt, gehen im gleichen Moment die Lichter an. Der Strom ist wieder da und der Besitzer vom Restaurant macht gleich Musik an. "Hmm" sage ich, und auch Fanti staunt nicht schlecht.
  Das Sagen scheint von magischer Wirkung zu sein, drum will ich es aufschreiben, muß es mir von Fanti dazu aber erneut sagen lassen, zum Mitschreiben diesmal. Kaum ist es abermals über ihre Lippen gekommen, hört schlagartig die Musik auf zu spielen und wir sitzen wieder in dem Dämmerlicht. Wir beschließen, dem Spuk ein Ende zu bereiten und unsere offensichtlichen Fähigkeiten nicht mehr einzusetzen.

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