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Leseprobe "Hanno hat eine Vorliebe"
aus "das Gebräu"
© Klaus Schumacher, Berlin, 2005

Hanno hat eine Vorliebe, der er an langen Abenden schon mal nachgeht: Frauenkleider tragen, Hanno strapst dann herum. Zunächst bin ich davon befremdet, doch Hannos Erklärung dafür ist ebenso simpel wie einleuchtend:
  "Ich hab´ als kleiner Bub noch die Bombennächte mitbekommen, bin in den 40er-Jahren großgeworden. Damals war die Erziehung strenger als später, da war keim Raum für sexuelles Verhalten. Ich bin zu einem sexuell recht gehemmten Mann erzogen worden. Allerdings habe ich nur die Tabus für die Jungs eingebleut bekommen, nicht aber die für die Mädchen. Man hat mir nicht beigebracht, was man als Mädchen alles nicht darf. Wenn ich Mädchen spiele, bin ich ganz frei und unverklemmt."
  Und er bewegt sich frech, locker, ein wenig aufreizend, eben wie ein Mädchen, das sich seiner Reize bewußt ist und damit ein wenig spielt und kokettiert und flirtet.
  Das paßt ganz zu Hannos Bestreben, aus den engen Maschen seiner Generation auszubrechen, er ist einer der wenigen seines Jahrzehnts, denen das gelingt. Auf der einen Seite ist er ganz der Wissenschaftler und Mathematiker, er war schon auf dem Gymnasium stets Klassenbester in Mathematik, doch auf der anderen Seite ist er ausgeflippt und auf Erleuchtungskurs gegangen. Diese Kombination macht ihn zu einem der interessantesten Menschen, denen ich je begegne. Da sind zum einen Gründlichkeit, Präzision und Genauigkeit, gepaart mit Logik und Scharfsinn, wie es mir ebenfalls beigebracht wurde, hier spricht er meine Sprache, ich fühle mich verstanden und zu Hause. Zum anderen aber ist da der Aufbruch ins Unkonventionelle, das wohlüberlegte Brechen von als hindernd erachteten Tabus.

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