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Leseprobe "Evy zu Besuch"
aus "das Gebräu"
© Klaus Schumacher, Berlin, 2005

Meine Freundin Evy ist zu Besuch, eine ganze Woche lang ist nur Fotografie angesagt, Fotos machen, Filme entwickeln, Abzüge anfertigen und sie vielleicht noch veredeln. Am Samstag Mittag gehen beide rote Dunkelkammerlampen innerhalb einer Stunde kaputt. Sie halten jahrelang, welch ein Zufall also, und wir müssen in einen anderen Stadtteil rasen, um in einem Spezialgeschäft neue zu besorgen, schaffen es gerade noch vor Ladenschluß, andernfalls wäre das gesamte Wochenende verloren gewesen. Doch der Tag hält noch weitere Überraschungen bereit. Es geschieht mit der Aufnahme, die Evy in weißen Faltenwurf gehüllt zeigt, vor einer mit schwarzem Samt ebenfalls faltig abgehängten Wand. Als ich sie mit dem Projektor auf Fotopapier belichte, bemerke ich, daß ich einen Fehler gemacht habe. Wie elektrisiert reiße ich das bereits belichtete Papier aus der Halterung und flemme es ins Entwicklerbad. Vom Ergebnis sind wir geschockt: Es zeigt Evy halb durchsichtig, durch ihren Körper hindurch läßt sich der Hintergrund erkennen, der ohne jede Bruchstelle über das gesamte Bild zu sehen ist!
  Abends will eine der beiden Kerzen nicht so recht brennen, die auf den beiden halbhohen Kerzenständern vor dem Spiegel stecken, vor dem ich manchmal die Spiegelmeditation mache, mit je einer brennenden Kerze links und rechts auf Ohrhöhe - was meinem Gesicht ein gespenstisches Aussehen verleiht - und bei der ich mir mein Spiegelbild solange anschaue, bis es sich auflöst und mir tausend andere Gesichter entgegengeflogen kommen, die alle ich sein könnten, vom Heiligen bis zum Henker. Die Kerze will weder normal brennen noch ausgehen, und so haben wir da stundenlang ein winziges Flämmchen kurz vor dem Erlöschen, doch es geht nicht aus, es bleibt am Leben. Evy, die eineinhalb Meter davon entfernt sitzt, spitzt die Lippen zu einem Hauchen und das Flämmchen geht aus. Sie ist bestürzt.
  "Ich habe den Hauch nur gedacht!" sagt sie irritiert.
  In einem tiefen Gespräch zum Ausklang des Tages, während unsere Abzüge auf den Regalen zum Trocknen aufgestellt sind, schon tief in der Nacht, sagt Evy etwas, mit dem sie etwas Verborgenes aus ihrem Innersten zu offenbaren scheint, ohne dies aber zu wollen. Es ist nicht gerade vordergründig, darum versuche ich, danach zu greifen. Doch genau in dem Moment, wo ich es zu haben glaube, macht es "plopp" und einer der Abzüge flutscht aus der gewölbten Position und segelt zu Boden. Das lenkt mich einen Moment ab, im Nu ist mein Gedanke verloren, ich finde ihn nicht wieder. Wenn es Geistwesen gäbe, denke ich, und sie einfach nur Einfluß auf den Zeitpunkt von Zufällen hätten, ohne anderweitig in Erscheinung treten zu können, so hätten sie bereits eine enorme Macht, die Geschehnisse in der materiellen Welt zu beeinflussen.

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